3.4.4 Das Scheitern eines ehrgeizigen Plans R.M.Gerhardt konnte nur einen Bruchteil dessen verwirklichen, was er geplant hatte. Ersichtlich wird dies aus einem Verlagsprospekt (am Ende des Kapitel wiedergegeben), der kurz vor seinem Tod erschien. Er soll hier vorgestellt werden, damit das Ausmaß dessen ersichtlich wird, was der Verlag der Fragmente geplant hatte, was er verwirklichen konnte und woran er letztendlich scheiterte. Herzstücke des Verlages waren und blieben die Zeitschrift und die Taschenbuchreihe. Von der Zeitschrift waren 1954 zwei Nummern erschienen. Geplant waren ein Deutschland-Sonderheft als Doppelnummer 3/4 und ein Heft (Nr. 5) mit Beiträgen von Antonin Artaud, Gertrude Stein, Jorge Andrade, Henry Miller und anderen. Im Briefwechsel zwischen Charles Olson und Robert Creeley ist des öfteren die Rede von einem Amerika-Heft der fragmente. Material dazu scheint vorhanden gewesen zu sein; ein Verzeichnis der Manuskripte Robert Creeleys deutet darauf hin. 1) Anfang Januar 1952 schreibt Robert Creeley aus Südfrankreich an Charles Olson: The 2nd issue of FRAGMENTE has gotten bogged, I guess, because of money; they hope to get out soon, i.e., to be able to continue. He says he has the first 15 (!) issues planned, etc. But no money. 2) Von der Taschenbuchreihe erschienen, wie bereits ausgeführt, sechs Ausgaben. Der Gedichtband von Klaus Bremer wird in dem Verlagsprospekt nicht erwähnt. Er trägt die Nummer 19, während die Zählung im Prospekt nur bis Nummer 15 geht (zuzüglich zweier, nicht numerierter Werke). Von sämtlichen Ausgaben sollten leinengebundene Exemplare lieferbar sein. Das Spektrum reicht von Confucius über Ezra Pound und Guillaume Appolinaire bis zu chinesischer Reimprosa, einer Anthologie (fünf neue deutsche dichter) und einer Sammlung mit negro spirituals und songs. Von einigen Nummern wurden auch Luxusausgaben hergestellt, so z.B. von Claire Golls Gedichtband 'Versteinerte Tränen'. 3) Doch Gerhardt vertrieb nicht nur Werke aus seinem eigenen Verlag. So übernahm er z.B. die deutsche Auslieferung von Cid Cormans Zeitschrift Origin, die in den fünfziger Jahren zu den wichtigsten Publikationsorganen der modernen amerikanischen Literatur zählte. 4) Außerdem verlegte er in Kommission eine Anthologie mit Gedichten von Charles Olson, Robert Creeley, Cid Corman und Vincent Ferrini. 5) Neben der Zeitschrift und den Taschenbüchern sollten auch gebundene Bücher im Umfang von 80-120 Seiten (Format 16,5 x 23 cm) erscheinen, von denen jeweils 50 Exemplare als Vorzugsausgaben auf Zerkall gedruckt werden sollten. Vorgesehen waren Werke von Ezra Pound (pisaner gesänge und lustra. gedichte), Antonin Artaud (um mit der gerechtigkeit gottes schluß zu machen. dichtung für radio) und Alfred Jarry (ubu roi). Von zwei weiteren Reihen wurden Sonderprospekte angekündigt, die aber nicht erschienen: (1) 'libellen-presse' (angekündigt: Franz Blei: das lustwäldchen) und (2) 'fragmente-handelspresse'. Das ehrgeizigste Projekt war die 'fragmente-presse': »bibliophile
ausgaben und luxusdrucke« - Bedenkt man die wirtschaflichen Voraussetzungen
eines jungen Verlages, der auf kein gesichertes finanzielles Fundament
zurückgreifen konnte, dem keine Zuschüsse zur Verfügung
standen und der dennoch keine Kompromisse schließen wollte, so können
die fü»f hier angezeigten Projekte dem außenstehenden
Betrachter nur ein verwundertes Kopfschütteln abringen. Neben dem
schon erwähnten Gedichtband von Claire Goll sollte der mythus vom
durchbrochenen felsen ihres Mannes Ivan Goll mit zwei Originalradierungen
von Yves Tanguy erscheinen (Nr. 1-11 auf Japan, 32 DM; Nr. 11-50 auf Zerkall,
24 DM).
Der bildenden Kunst waren drei weitere Reihen reserviert:
Um das Bild abzurunden seien noch drei weitere Projekte erwähnt,
die zu der damaligen Zeit mehr als abenteuerlich erscheinen mußten.
Je eine Gesamtausgabe der Werke von Gustave Flaubert und des Marquis de
Sade und eine dreibändige Anthologie der amerikanischen Dichtung.
Der Zuspruch von Curtius scheint der einzige gewesen zu sein, den Gerhardt
zu seinen Lebzeiten öffentlich erhalten hat. Noch kurz vor seinem
Tod erscheint aus der Feder von Helmuth de Haas eine Polemik gegen seinen
Gedichtband umkreisung. Darin erfährt er laut und entschieden, wobei
es auch nicht ohne ein paar Schläge unter die Gürtellinie abgeht,
eine Zurückweisung seines poetischen Weges, der hier als Avantgardismus
nach rückwärts verworfen wird.
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1) Indiana University: Typescript journal by Creeley January 1,
1950 to October 18, 1951, which includes personal notes, theories of poetry
and prose, and working notes for stories, articels, letters and poems (including
an early draft of part 2 of 'Divisions'). Including drafts of four unpublished
articels: 'An Open Letter', 'A Note on American Poetry: 1951' (intended
for the proposed American issue of "Fragmente"), Notes on American Poetry:
1951' (a rewrite of the previous work), and 'Notebook' (June 21, 1951;
excerpts from the journal and the August 30, 1950 letter to Olson listed
in 1054). - Aus: Mary Novik: Robert Creeley. An Inventory. 1945-1970, o.O.,
Seite 154.
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